Wie gewöhne ich mein Pferd an „Schreckgespenster“?
- Tierisch schlau
- 20. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 28. Mai
Pferde sind von Natur aus Fluchttiere. Was für uns harmlos erscheint – eine flatternde Plane im Wind, ein knatternder Traktor in der Ferne, ein bellender Hund – kann bei deinem Pferd Urinstinkte wecken. „Lieber einmal zu oft weglaufen als zu spät“ lautet das Motto der Evolution. Diese Vorsicht hat Wildpferden das Leben gerettet, kann aber für uns Reiter herausfordernd sein. Wichtig ist: Hab Verständnis, dass dein Pferd Angst nicht aus „Ungehorsam“ zeigt, sondern weil es sich tatsächlich unsicher fühlt. Das Ziel vom Anti-Schreck-Training (Gelassenheitstraining) ist nicht, dein Pferd alle Angst völlig zu nehmen – ein gewisses Maß an Reaktionsbereitschaft bleibt immer. Aber du kannst deinem Pferd beibringen, neuen Reizen gelassener zu begegnen und sich auf dich zu verlassen.

Schritt-für-Schritt zur Gelassenheit
Der Schlüssel liegt in langsamer Gewöhnung. Suche dir zunächst eine ruhige, vertraute Umgebung – z.B. den Reitplatz oder die Halle, ohne Ablenkung durch andere Pferde. Beginne am Boden: Du solltest dein Pferd am Halfter oder Knotenhalfter führen können, bevor du vom Sattel aus solche Reize trainierst. Jetzt wähle einen „Schreckgegenstand“, an den du dein Pferd gewöhnen willst, etwa eine Plane.
Schritt 1: Zeig deinem Pferd die Plane aus der Distanz. Lass es erst mal schauen und beschnuppern, ohne dass die Plane wackelt. Bleibt es ruhig, lobe es.
Schritt 2: Annäherung in kleinen Etappen. Führe dein Pferd langsam näher an den Gegenstand heran. Gehe vielleicht ein paar Schritte auf die Plane zu, dann wieder weg – dieses „Approach and Retreat“ gibt dem Pferd die Chance zu verstehen, dass nichts passiert.
Schritt 3: Intensität steigern. Nimm die Plane in die Hand und bewege sie leicht, während du neben deinem Pferd stehst. Anfangs reicht ein leichtes Rascheln. Wenn dein Pferd das toleriert, wieder loben. Falls es weicht oder ängstlich wird, bleib ruhig stehen, nimm die Plane wieder runter und fange kleiner an. Immer gilt: erst wenn dein Pferd entspannt bleibt, erhöhst du den Reiz langsam. Zieh nichts übers Knie – lieber 10 kleine Schritte als einen großen Sprung.
Schritt 4: Positive Verstärkung. Lobe jedes ruhige Verhalten deines Pferdes ausgiebig. Sprich mit sanfter Stimme, kraule den Widerrist oder gib ein Leckerli (aber nur, wenn es trotz „Monster-Plane“ ruhig bleibt). Dein Pferd soll verknüpfen: „Aha, wenn ich ruhig bleibe und mir das anschaue, passiert nix Schlimmes und ich bekomme sogar Anerkennung.“ Positive Verstärkung steigert die Motivation deines Pferdes, mutig zu sein.
Schritt 5: Wiederholung und Variation. Übe in kurzen Einheiten, aber regelmäßig. Wenn die Plane irgendwann kein Thema mehr ist – super! Dann nimm neue Objekte: z.B. raschelnde Plastiktüten, bunte Luftballons, einen Regenschirm der aufgespannt wird, knisternde Papiertüten etc. Pferde können lernen, das Prinzip zu begreifen: „Unbekanntes Zeug = nicht gefährlich, wenn mein Mensch ruhig bleibt.“
Do’s & Don’ts beim Anti-Schreck-Training
DO: Bleib selbst ruhig und souverän: Atme tief, sprich lobend – dein Pferd orientiert sich an deiner Körpersprache. Wenn du entspannt bist, wird es schneller Vertrauen fassen.
DO: Sicherheit geht vor: Nutze am Boden ein gut sitzendes Halfter oder Knotenhalfter und am besten einen langen Führstrick oder Bodenarbeitsseil. Handschuhe sind sinnvoll, falls dein Pferd doch mal ruckartig loszieht. Ein Helm schadet auch am Boden nicht, besonders bei sehr schreckhaften Kandidaten. Sorge dafür, dass das Gelände umzäunt ist, falls dein Pferd sich losreißt, und dass keine spitzen Gegenstände herumliegen.
DO: Kleine Schritte belohnen: Wie oben beschrieben: immer schrittweise vorgehen. Nie dein Pferd zwingen, an etwas Angsteinflößendem „einfach so“ vorbei zu gehen. Du möchtest, dass es freiwillig gelassen bleibt. Wenn es einen Schritt vorwärts wagt und schnuppert – Click (oder „Brav!“) und Belohnung. Fortschritte können Tage oder Wochen dauern, je nach Pferd. Geduld zahlt sich aus.
DON’T: Überfordere dein Pferd nicht: Anti-Schreck-Training soll Vertrauen schaffen, nicht das Pferd traumatisieren. Vermeide die Haltung „Jetzt muss er da durch“. Wenn du merkst, dein Pferd gerät in Panik (aufgerissene Augen, hoher Kopf, Fluchtversuch), geh einen Schritt zurück im Training. Pause machen, woanders anknüpfen, später nochmal versuchen. Es bringt nichts, das Pferd mit Gewalt zum Kontakt zu zwingen – es lernt dabei nur: „Mein Mensch hört nicht auf meine Angst.“
DON’T: Strafen bei Angst: Bestrafe dein Pferd niemals dafür, dass es sich erschreckt. Schimpfen, Schlagen oder hartes Zerren am Strick machen die Angst nur größer, weil dein Pferd dann die Situation noch unangenehmer findet. Bleib stattdessen stehen, atme, fang nochmals von vorne an. Lobe jeden kleinen Schritt in die richtige Richtung.
DON’T: Alles auf einmal: Manche machen den Fehler, dem Pferd gleich einen ganzen „Schreck-Parcours“ mit Flatterbändern, Bällen, Planen, Wassergräben etc. zu präsentieren. Das kann schnell zu viel sein. Besser: ein Reiz nach dem anderen. Wenn dein Pferd bei einzelnen Dingen cool bleibt, kannst du sie kombinieren.
Besondere „Schreckgespenster“
Neben Objekten gibt es Situationen, die du gezielt üben kannst.
Fahrzeuge: Hat dein Pferd Angst vor Traktoren oder Fahrrädern? Versuch, so etwas kontrolliert zu üben. Bitte einen Freund, mit dem Auto oder Traktor langsam am Reitplatz vorbeizufahren, während du dein Pferd lobst und eventuell fütterst. Annäherung mit Motorgeräusch in Etappen. Gleiches mit Motorrädern oder Fahrrädern. Wichtig: Anfangs großer Abstand, dann langsam verringern, nie zu dicht und schnell.
Tiere: Manch Pferd findet Kühe oder Schweine gruselig. Hier hilft oft gemeinsames Ausreiten (mit einem erfahrenen „Cowboy“-Pferd) an Kuhweiden vorbei. Oder stell dein Pferd mal neben eine Weide mit Schafen – meist legt sich die Aufregung nach ein paar Tagen.
Regenschirme, Planen überm Kopf: Sowas kannst du kombinieren: erst Schirm alleine üben, dann Schirm + Rascheln + über den Kopf halten. Immer Schritt für Schritt.
Geduld zahlt sich aus
Jedes Pferd lernt in eigenem Tempo. Einige werden durch konsequentes Gelassenheitstraining nahezu bombensicher – da knallt irgendwo was und sie bleiben stehen. Andere bleiben ihr Leben lang etwas guckig, aber verbessern sich deutlich. Wichtig ist, dass du ruhig und konsequent bleibst. Wenn dein Pferd dir vertraut und gelernt hat, dass du es nicht in Gefahr bringst, wird es immer mehr Mut fassen. Übrigens kann auch regelmäßige Bodenarbeit und Gehorsamstraining helfen: Ein Pferd, das gut führt, auf Stimme hört und respektvoll mit dem Menschen mitgeht, lässt sich in Schreckmomenten viel besser kontrollieren. Daher kombiniere Gelassenheitsübungen gern mit normalem Training. So wird aus dem Schreckgespenst irgendwann ein „alter Bekannter“, der keine Furcht mehr einflößt.


