Aggressives Verhalten einer Stute: Was tun?
- Tierisch schlau
- vor 2 Tagen
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Du kennst deine Stute als freundlichen Partner – und plötzlich zeigt sie Aggression gegenüber Menschen. Dieses Szenario verunsichert viele Pferdehalter. In unserem Fall geht es um eine 10-jährige Stute, die unerwartet aggressiv wird, obwohl sie zuvor entspannt war. Was kann hinter solch einer Wesensveränderung stecken? Mögliche Ursachen reichen von Schmerzen über hormonelle Probleme bis zu Traumata oder Stress. In diesem Artikel analysieren wir die häufigsten Auslöser für plötzliches aggressives Verhalten bei Pferden und geben dir Handlungsempfehlungen, um Sicherheit für Mensch und Tier wiederherzustellen. Fachwissen aus Tiermedizin und Verhaltenskunde hilft uns, der Sache auf den Grund zu gehen.
Mögliche Ursachen plötzlicher Aggression
Schmerzen oder gesundheitliche Probleme
Die Erfahrung zeigt, dass oft Schmerzen der Auslöser sind, wenn zuvor brave Pferde plötzlich unerwünschtes Verhalten zeigen. Ein Pferd, das Schmerzen hat, kann aggressiv reagieren, weil es sich wehren will oder Berührungen mit Unbehagen verknüpft. Beispiele: Ein Rückenschmerz (durch unpassenden Sattel oder Wirbelsäulenprobleme) kann dazu führen, dass die Stute beim Putzen oder Satteln plötzlich ausschlägt oder Ohren anlegt. Auch Zahnprobleme (Haken, Entzündungen) können Aggression beim Auftrensen oder Füttern verursachen. Selbst orthopädische Schmerzen (Hufgeschwüre, Lahmheiten) können ein sonst gutmütiges Pferd reizbar machen. In einer Studie wurden 14 Pferde mit massivem Problemverhalten untersucht – alle galten eigentlich als brav, doch beim Arbeiten wurden sie gefährlich. Bei vielen fand man letztlich schwer nachweisbare, aber vorhandene Schmerzursachen (z.B. eine entzündete Nervenwurzel an der Wirbelsäule). Fazit: Schmerz ist ein häufiger, aber manchmal versteckter Aggressionsauslöser.
Handlungsempfehlung
Lass deine Stute gründlich tierärztlich durchchecken. Erkläre dem Tierarzt die Verhaltensänderung detailliert: Wann tritt die Aggression auf (beim Putzen, Führen, Reiten)? Gab es körperliche Auffälligkeiten (Lahmen, Muskelzittern, empfindliche Stellen)? Der Tierarzt sollte Zähne, Rücken, Beine/Gelenke, Hufe und innere Organe überprüfen. Auch ein Blutbild kann sinnvoll sein, um z.B. Entzündungswerte festzustellen. Viele körperliche Probleme lassen sich beheben oder managen – anschließend verschwinden oft auch die Aggressionen, da das Pferd keinen Grund zur Abwehr mehr hat. Denke auch an weniger offensichtliche Schmerzquellen: Magenprobleme (Magengeschwüre) können beim Gurten oder Reiten Schmerz verursachen und so Abwehr auslösen; Ohrentzündungen könnten Kopfscheuen und Beißen erklären, etc. Ein erfahrener Tierarzt oder Osteopath sollte solche Möglichkeiten mit einbeziehen.
Hormonelle Ursachen (Rosse und Co.)
Bei Stuten spielen Hormone eine große Rolle im Verhalten. Manche normalerweise lammfromme Stute wird während der Rosse (Brunst) zickig oder gereizt. Das allein kann Aggression erklären, wäre aber zyklisch und nicht plötzlich und dauerhaft. Kritischer sind hormonelle Störungen oder Erkrankungen: Ein Eierstockstumor (oft ein Granulosazelltumor) kann dazu führen, dass die Stute übermäßig männliche Hormone (Androgene/Testosteron) produziert. Die Folge: Die Stute benimmt sich „hengstig“, wird dominant und mitunter aggressiv. Solche Tumoren sind meistens gutartig, aber hormonell aktiv. Anzeichen können auch ausbleibende normale Rosse oder Dauerrosse sein. Interessanterweise kann auch ein Überschuss an Östrogen – etwa durch eine Zyste oder hormonelle Dysbalance – Aggression auslösen. Ebenso macht ein Überschuss des Gelbkörperhormons Progesteron manche Stuten ungewöhnlich reizbar (Progesteron ist eigentlich ein „Schwangerschaftshormon“; pathologisch erhöhte Spiegel können durch hormonaktive Zubildungen entstehen). Eine Stute mit konstant hohem Progesteron zeigt keine Rosse und kann dennoch aggressiv sein.
Neben Tumoren kommen auch Gynäkologische Entzündungen in Betracht: Chronische Schmerzen durch eine Gebärmutterentzündung (Endometritis) oder Zysten können Unwohlsein und damit Abwehrverhalten fördern. Eine Endometritis geht oft mit Dauerrosse und Ausfluss einher – falls solche Symptome auftreten, sollte man daran denken.
Handlungsempfehlung
Ziehe einen Fachtierarzt für Pferdegynäkologie hinzu, wenn Verhalten und normale Rosse-Zyklen deiner Stute nicht zusammenpassen. Ein Ultraschall der Eierstöcke kann Tumore oder Zysten sichtbar machen. Bluttests auf Hormonwerte (Testosteron, Östrogen, Progesteron) geben Hinweise. Sollte tatsächlich ein Eierstocktumor vorliegen, ist die gute Nachricht: Er lässt sich i.d.R. operativ entfernen (meist per Laparoskopie), und danach normalisiert sich das Verhalten oft wieder. Gegen starke Rossigkeit und damit einhergehende Launen gibt es mildere Maßnahmen: Einige Stutenhalter nutzen Mönchspfeffer (Agnus castus)-Kräuter oder spezielle Ergänzungsfuttermittel, um hormonelle Schwankungen abzumildern – das kann bei leichten Fällen helfen (aber nicht bei einem Tumor). In harten Fällen kann ein Tierarzt über eine zeitweilige medikamentöse Rosseunterdrückung oder sogar die Entfernung der Eierstöcke (Ovarektomie) beraten, falls die Aggression eindeutig hormonell und gefährlich ist. So weit muss es selten kommen; meistens gibt es vorher schon Anzeichen wie Dauerrosse oder Zyklusunregelmäßigkeiten, die man behandeln kann.
Psychische Ursachen / Trauma
Aggression kann auch aus Angst oder schlechten Erfahrungen entstehen. Pferde haben ein exzellentes Gedächtnis – wenn deine Stute z.B. kürzlich eine grobe Behandlung oder einen Unfall erlebt hat, könnte sie nun Misstrauen gegen Menschen entwickelt haben. Beispiel: Sollte sie bei einer Behandlung oder dem Schmied Schmerzen gehabt haben, könnte sie jetzt vorbeugend beißen oder treten, sobald jemand in ähnlicher Weise auf sie zugeht. Oft entsteht Aggression aus einer Defensivhaltung: Das Pferd fühlt sich in die Enge getrieben und wählt mangels Fluchtmöglichkeit den Angriff. Gerade unerfahrene Personen können unabsichtlich Druck oder falsche Signale geben, die die Stute verwirren oder ängstigen, was in Aggression mündet. Ein Pferd, das beispielsweise grob angebunden und hart bestraft wurde, könnte bei der nächsten Gelegenheit austreten, sobald jemand die Box betritt – schlicht aus erlernter Abwehr.
Auch Änderungen im Herdenumfeld oder der Haltung können Stress und damit ungewohntes Verhalten verursachen. Hat deine Stute kürzlich den Stall gewechselt, ihre Bezugspferde verloren oder steht sie vielleicht isoliert? Chronischer Stress (z.B. durch schlechte Haltung, Unterforderung oder Überforderung) kann zu Gereiztheit führen. Man denke an ein Pferd, das keine ausreichenden Fluchtmöglichkeiten hat – z.B. den ganzen Tag in einer engen Box ohne Sichtkontakt. Solche Situationen „machen aggressiv“, weil das natürliche Bedürfnis nach Sicherheit nicht erfüllt ist.
Handlungsempfehlung
Reflektiere, ob es in letzter Zeit Veränderungen oder Vorfälle gab, die deine Stute verunsichert haben könnten. Wurde ein neuer Trainer eingesetzt? Gab es einen Sturz, eine Kollision, einen Transport? Sprich mit allen Beteiligten (Reitbeteiligungen, Stallpersonal), ob etwas vorgefallen ist. Beobachte das Verhalten deiner Stute genau: Gegenüber wem ist sie aggressiv (nur bestimmte Personen oder generell)? In welchen Situationen (nur in der Box, nur unterm Sattel, immer beim Füttern)? Diese Muster geben Hinweise. Bei psychischen Ursachen ist Geduld und Training das Mittel der Wahl. Ziehe ggf. einen Pferdeverhaltenstherapeuten oder erfahrenen Trainer hinzu. Wichtig ist, nicht mit Härte zu reagieren – das verschlimmert Angst-Aggression nur. Stattdessen sollte man behutsam das Vertrauen wieder aufbauen: konsequent, aber fair im Umgang, Routine und Ruhe ausstrahlen. Falls die Stute Menschen gezielt attackiert, sollte nur eine erfahrene Person mit Schutzmaßnahmen (Helm, evtl. Gerte zur Distanzwahrung) mit ihr arbeiten. Manchmal hilft es, einen Schritt zurückzugehen und einfache Übungen am Boden zu machen, um Respekt und Sicherheit neu zu etablieren.
Neurologische oder sonstige medizinische Ursachen
Seltener können auch neurologische Probleme Aggression verursachen – z.B. ein Hirntumor, ein Enzephalitis-Virus oder Tollwut (letzteres extrem selten bei Pferd, würde aber ebenfalls plötzliche Wesensveränderung zeigen). Auch die Stoffwechselkrankheit PSSM2 (Polysaccharid-Speicher-Myopathie Typ 2) kann laut neueren Berichten Verhaltensänderungen bringen: betroffene Pferde haben Muskel- und Nervenschmerzen, fühlen sich schlapp und unwohl, was zu Gereiztheit und auch Aggression führen kann. Solche Diagnosen sind jedoch kompliziert – in der Praxis wird man erst die häufigeren Ursachen ausschließen, bevor man an seltene Erkrankungen denkt.
Handlungsempfehlung
Wenn alle naheliegenden Ursachen (orthopädisch, dental, gynäkologisch, Training) abgeklärt sind und keine Besserung eintritt, bespreche mit deinem Tierarzt weiterführende Diagnostik. Ein Bluttest auf Entzündungen oder bestimmte Hormonwerte (ACTH bspw. für Cushing, Schilddrüsenwerte) könnte erfolgen. Im Fall unserer Stute würde auch ein Cushing-Syndrom (PPID) untersucht werden, obwohl Aggression nicht das Leitsymptom ist – aber PPID kann bei älteren Pferden Verhaltensänderungen bewirken. Hier hilft nur eine systematische Ausschlussdiagnostik gemeinsam mit dem Tierarzt.
Umgang mit der aggressiven Stute – Sicherheit geht vor
Während Ursachenforschung und eventuelle Behandlungen laufen, musst du natürlich im Alltag mit der Stute umgehen. Deine Sicherheit und die anderer Menschen hat oberste Priorität. Wenn die Stute ernsthaft droht (z.B. auf Menschen losgeht, beißt oder ausschlägt), ergreife vorsorgliche Maßnahmen:
Im Umgang: Verwende beim Führen ein stabiles Halfter und einen langen Führstrick. Bleibe stets seitlich auf Höhe der Schulter, nicht vor dem Pferd. Falls sie zum Ausschlagen neigt, halte etwas Abstand zum Hinterteil. Ein Kappzaum oder Stallhalfter mit Kette (korrekt angewendet) kann mehr Kontrolle geben, aber das Ziel ist nicht zu strafen, sondern sichere Distanz wahren. Manchmal hilft es, die Stute in bekannten Stressmomenten (z.B. Tierarztuntersuchung) zur Sicherheit einen Maulkorb (Weidemaulkorb) tragen zu lassen, um Bissverletzungen zu verhindern – das ist nur kurzfristig und nur, falls wirklich nötig.
Training der Bodenarbeit: Wie Pavo-Futterexperten empfehlen, sollte bei aggressiven Pferden ein erfahrener Trainer mit viel Geduld ran. Beginne mit einfachen Führübungen, weichen auf Druck, Halten auf Kommando etc. – so etablierst du (wieder) Rangordnung und Vertrauen am Boden, ohne gleich Reitdruck. Wichtig: Konsequenz ohne Härte. Jeder respektvolle Schritt wird gelobt, unerwünschtes Verhalten mit ruhiger, klarer Korrektur beantwortet (z.B. energisch rückwärtsrichten lassen, wenn sie drängelt oder droht). Unerfahrene Reiter sollten jetzt nicht mit dem Pferd arbeiten, da Fehler die Aggression verstärken können.
Im Sattel: Bis die Ursache geklärt ist, sei vorsichtig mit Reiten. Wenn, dann nur von geübter Hand, eventuell mit Begleitperson am Boden. Ein aggressives Pferd unter dem Reiter kann gefährlich für Reiter und Umfeld werden – stelle also sicher, dass Umgebung und Ausrüstung sicher sind (Reitplatz umzäunt, kein Publikumsverkehr etc.). Trage immer einen Reithelm. Sollten die Aggressionen im Sattel besonders auftreten (z.B. Buckeln, Beißen beim Gurten), pausiere lieber mit dem Reiten, bis ein Tierarzt mögliche Schmerzursachen gefunden hat.
Haltung optimieren: Parallel solltest du etwaigen Haltungsstress reduzieren. Gibt es genug Freizeit und Bewegung? Ein Pferd, das ganztägig auf Paddock oder Weide kann, baut überschüssige Energie ab und entspannt mental, was Aggression mindern kann. Sozialkontakte: Hat sie Pferdegesellschaft? Isolation kann Aggression fördern, denn das Pferd ist frustriert. Eine Integration in eine passende Gruppe – falls sie aktuell alleine stünde – könnte Wunder wirken, muss aber behutsam geschehen (eine aggressive Stute in eine Herde zu geben erfordert Beobachtung).
Routine und Ruhe: Versuche, der Stute einen verlässlichen Tagesablauf zu bieten. Unberechenbarkeit im Umfeld (z.B. wechselnde Bezugspersonen, unruhiger Stall) kann ein unsicheres Tier aggressiv machen. Feste Fütterungszeiten, gleiche Pfleger – das schafft Vertrauen. Wenn du merkst, bestimmte Personen triggern das Verhalten weniger, bitte diese bevorzugt um Hilfe im Umgang.
Fazit
Plötzliche Aggression bei einer ehemals umgänglichen Stute ist ein Hilfeschrei, dem man auf den Grund gehen muss. Nimm solche Wesensveränderungen immer ernst – Pferde werden nicht ohne Grund „unberechenbar“. Häufig sind Schmerzen der verborgene Übeltäter, sei es vom Sattel bis zur versteckten Entzündung. Auch Hormone können aus deiner liebenswerten Stute zeitweise einen „Drachen“ machen, vor allem wenn pathologische Vorgänge im Eierstock ablaufen. Stress oder Angst aufgrund von schlechten Erfahrungen dürfen ebenfalls nicht übersehen werden. Der erste Schritt sollte immer eine umfangreiche tierärztliche Untersuchung sein – von der Orthopädie bis zur Gynäkologie. In vielen Fällen bringt eine Behandlung (Zahnsanierung, Schmerztherapie, ggf. Tumor-OP) bereits Besserung, weil der Auslöser verschwindet. Parallel dazu musst du in der Umgangsweise mit der aggressiven Stute umsichtig, aber bestimmt sein: Sicherheit gewährleisten, aber auch Vertrauen zurückgewinnen. Strafe ist der falsche Weg; besser ist Verständnis und ein Trainingsplan, idealerweise mit Profi-Unterstützung.
Letztlich gilt: Dein Pferd will dir nichts „Böses“ tun – es versucht, dir etwas mitzuteilen. Indem du genau hinhörst (bzw. -siehst) und Fachleute hinzuziehst, kannst du die Ursache finden und abstellen. Mit Geduld, medizinischer Hilfe und angepasstem Training haben die meisten aggressiven Phasen ein Ende. Aus der „zickigen“ Bella kann so wieder ein verlässlicher Partner werden – und euer gegenseitiges Vertrauen ist danach oft sogar stärker als zuvor, weil du ihr in ihrer schwierigen Phase geholfen hast. Pferdehalter auf Augenhöhe mit ihrem Tier reagieren nicht mit Ärger, sondern mit Lösungsbereitschaft – so meisterst du auch dieses Verhaltenstief und deine Stute findet zurück zu ihrem entspannten Selbst.
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